Ich bin Atheist, sogar ein ziemlich überzeugter. Das war aber nicht immer so.
Da meine Oma einen Großteil meiner Erziehungsarbeit geleistet hat, hatte ich von ihr auch den Umgang mit dem Glauben. Ich betete jeden Abend und begleitete sie öfter in die Kirche. Und es war nicht so, dass es nur eine Pflicht für mich gewesen wäre. Ich habe das aus Überzeugung gemacht und hatte eine gute Beziehung zu Gott. Es tat mir gut, jeden Abend mit ihm zu sprechen. Ihm alles anzuvertrauen, was mich den Tag beschäftigt hatte. Es gab auch Bitten, die ich an ihn hatte. Jede Bitte verband ich mit einem Dienst zu seinen Gunsten. Ich wollte etwa, dass etwas Bestimmtes nicht eintrifft. Dafür bot ich jeden Abend ein bestimmtes Gebet an, und zwar wirklich jeden Abend. Wurde mein Wunsch erfüllt, betete ich eisern jeden Abend besagtes Gebet. Ich nahm diese Verbindung wirklich sehr ernst. Bis ich in die Oberstufe kam und mich anstatt für Religion für den Philosophieunterricht entschied. Hier nahmen wir dann die Lehren von Freud durch. Unter anderem den Vaterkomplex. Nach Freud kreierten die Menschen Gott aus Angst vor der absoluten Mündigkeit. Gott nimmt dem Erwachsenen den Elternkomplex ab und erlöst ihn damit vor einer immensen Verantwortung. Ein gläubiger Mensch ist niemals allein für seine Taten verantwortlich. Ein Mensch ohne Glauben muss gänzlich allein mit der übergroßen Welt fertig werden.
Und indem ich verstand, was Freud damit meinte, zersprang mein Glaube in 1000 Einzelteile und kam nie wieder. Die Erkenntnis brachte mir eine dunkle, bedrohliche transzendentale Obdachlosigkeit. Dummerweise habe ich mich in meinem Leben der Erkenntnis verschrieben und kann einfach nicht anders, als neue Erkenntnisse zu meinen neuen Wahrheiten zu machen. Ich kann da leider nichts verdrängen und ausblenden. Wenn mich die Erkenntnis trifft, dann ist das unwiderruflich wie ein Blitzeinschlag, der mir eine ewig währende Narbe beschert.
Somit war ich seit dieser Stunde gottlos und ich kann Euch sagen, das war und ist nicht einfach. Denn Gott macht es einem so viel leichter. Ja, ich weiß, Gott ist nicht mehr hip, gerade in Zeiten, in der die Kirche immer mehr an Ansehen verliert. Aber die Vernünftigen haben sowieso schon lange begriffen, dass Gott und Kirche 2 völlig unterschiedliche Dinge sind. Gott ist unglaublich wichtig für uns Menschen und es ist egal, wie man ihn nennt, oder ob man ganz viele Götter anbetet. Wichtig ist nur, jemanden über sich zu haben. Denn das wirkliche endgültige Erwachsenwerden, will wohl fast keinem Menschen so richtig und endgültig gelingen.
Aber aus welchen Gründen ist Gott so wichtig für unser Leben?
Ein notwendiges Gut für uns ist die Liebe. Ohne Liebe würden wir seelisch verkümmern und kein gutes Leben mehr führen können. Vor allem das Geliebt werden in der Kindheit, ist von entscheidender Bedeutung. Doch bei fast jedem von uns wird das ganze Maß an Liebe, was er aus der Tiefe seines Inneren benötigt, nicht abgedeckt werden können. Es wird immer Bereiche und Situationen geben, in denen wir uns ungeliebt fühlen. Hier setzt die Argumentation für Gott an: Dieser Liebesmangel kann mit Gott abgedeckt werden. Denn Gott liebt uns immer, zu jeder Situation, an jedem Ort. Es reicht, ihn sich zu vergegenwärtigen und er gibt uns, wonach wir uns eben gerade sehnen.
Ein weiteres Argument ist besagte transzendentale Obdachlosigkeit. Wir Menschen tun uns schwer mit der absoluten Freiheit. Sie macht uns Angst. Denn mit ihr sind wir allein gelassen und sind für all unser Handeln allein verantwortlich. Als erwachsener Mensch gibt es immer wieder Situationen, in denen wir uns alleingelassen fühlen. „Welche Entscheidung soll ich treffen? Ist mein Handeln richtig oder falsch? Ich habe Angst, wie befreie ich mich davon?“
Diese unsere Welt erscheint uns oft so groß, undurchdringlich und undurchschaubar. Wie ein drohender Riese steht sie dann vor uns und macht uns klein und ängstlich. Doch als Erwachsener haben wir keinen allgegenwärtigen schützenden Vater mehr, zu dem wir gehen können, wenn uns mulmig wird. Er ist nicht da, um uns in seine schützenden Arme zu nehmen und uns mit seiner Allwissenheit aus unserem Problem hinauszuhelfen. Hier setzt wieder Gott ein. Er ist allmächtig, allwissend und in der Lage jedem von uns mit seiner Weisheit zu helfen. Er breitet seine Hand über jeden von uns aus und bietet ein Dach, vor den Gezeiten der drohenden Welt. Auch hier reicht wieder eine Vergegenwärtigung und eine Zwiesprache zu dem großen Vater und wir haben das gute Gefühl nicht allein zu sein.
Er gab uns die Regeln, an die wir uns zu halten haben. Er gab uns Moral und Werte, die wir zu befolgen haben. Er ermahnt uns, wenn wir falsch gehandelt haben und er gibt uns ein gutes Gefühl, wenn wir ein guter Mensch waren. Diese Regeln und Werte sind vorwiegend für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft von enormer Wichtigkeit! Ohne sie ist ein geregeltes Leben unmöglich. Ja, auch der Staat gibt Gesetze vor aber diese Gesetze sind mit Zwang verbunden und einer starren Institution. Sie stehen für sich, sind nicht emotional gebunden. Die Regeln Gottes sind wie die Regeln, die man früher von seinem Vater bekam. Sie stehen in Verbindung mit ihm und es liegt jedem am Herzen in seinem Willen zu handeln. Denn wenn man das tut, sichert man sich seine Akzeptanz und seine Zuneigung. Wenn man gegen Staatsgesetze verstößt, ist die Folge eine absolut unemotionale Strafe, die ein Gesetzestext vorgibt. Sie wird nicht in der Intensität erfahren, wie die Maßregelung von jemandem, der einem wichtig ist. Wir Menschen funktioniert nun mal am besten über unsere Gefühle. Das tägliche Leben klammert Gefühle aber immer mehr aus.
Wir müssen funktionieren, da können Gefühle schnell lästig werden. Aber sie sind da, auch wenn wir sie die meiste Zeit unterdrücken müssen. Früher oder später kommen sie heraus. Entweder direkt im Kontrollverlust, schleichend in der Veränderung der Persönlichkeit oder als Krankheit unseres Körpers. Daher ist es so wichtig, dass man sich regelmäßig mit und seinen Gefühlen auseinandersetzt. Auch hier ist Gott für uns da. Ihm sind diese Gefühle nicht lästig. Wir können sie ihm unzensiert anvertrauen.
Eine wirklich wichtige Komponente Gottes ist seine Emotionalität und seine Nähe zur Menschlichkeit. Gott ist eben keine sachliche Instanz, die sich nur nach Fakten und Paragrafen richtet. Dem heutigen System von Politik und Gesetzgebung fehlt maßgeblich das Gefühl. Wir akzeptieren es zwar als Obrigkeit, aber auch nur auf sachlicher Ebene. Es ist nichts, was uns berührt. Gott aber berührt uns Menschen! Er stellt zwar die Regeln auf und achtet auf die Einhaltung, gleichzeitig ist er aber auch da. Er geht auf jeden von uns ein, auf unsere Gefühle und Bedürfnisse. Ihm geht es um jeden einzelnen Menschen, nicht nur um eine Statistik, die in X Jahren an den Durchschnittsbedürfnissen der Bevölkerung festgemacht wurde. Denn im Prinzip ist er ja einer von uns Menschen, nur eben ohne die Fehler, die ein Mensch nun mal zwangsläufig hat und macht. Eben der große Vater, der über alles erhaben ist.
Gott ist der unbewegte Beweger. Er lenkt das Weltgeschehen, er hält die Hand über alles und jeden. Er ist die erste und die letzte Instanz. Er trägt die Verantwortung für alles Gute, als auch für alles Schlechte auf dieser Welt. Und hier liegt ein weiteres Argument für die Wichtigkeit Gottes. Wir Menschen brauchen in schwierigen Situationen einen, den wir verantwortlich machen können. Jemand, auf den wir unseren Zorn richten können. Einen Schuldigen eben. Gott nimmt diese Rolle gerne ein. Er erträgt gütig allen Zorn der Menschen über ihr eigenes Leid. So erhält Gott all den Unmut, den ohne ihn ein Mitmensch einstecken müsste.
Gott ist immer der, der uns Menschen fehlt. Er ist immer da, ohne sich aufzudrängen. Brauchen wir ihn, ist er nur ein Gebet entfernt, brauchen wir ihn nicht, stellt er sich geduldig in den Hintergrund. Er bewacht, versteht, richtet aber auch über uns Menschen. Er ist der allmächtige Vater, der treue Begleiter auf allen Wegen. Er ist der wahre Freund, der jederzeit ein offenes Ohr hat. Er ist wie der perfekte Vater, den niemand jemals hatte.
Und all das kann nur Gott sein! Er ist der imaginäre Freund, der uns den Weg zu unserem Inneren zeigt. Der aus der Tiefe des Ichs zu uns spricht und somit genau der richtige Gesprächspartner ist. Nichts und niemand anderes könnte diese Stellung in uns einnehmen. Denn nur dem allmächtigen Vater gestatten wir es, Einzug in unser tiefstes Inneres zu halten. Nur ihm bieten wir dieses grenzenlose Vertrauen an. Keiner Menschenseele würden wir uns sonst so schutzlos ausliefern und jegliches von uns preisgeben. Nur Gott darf diese Verantwortung tragen.
Ich denke, das Geheimnis Gottes ist es, dass er uns Zugang zu unserem Selbst bietet. Wenn wir zu ihm sprechen, sprechen wir zu uns selbst. Befragen unser Innerstes, suchen in uns nach Antworten. Und das aus dem Blickwinkel einer höheren, weisen Instanz.
Freud sagt, der mündige und erwachsene Mensch solle in der Lage sein, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich von göttlichen Instanzen freizumachen. Er solle begreifen, dass Gott ohnehin in uns ist und nicht von an einem anderen Ort auf uns herabschaut. Ich bin der gleichen Meinung wie Freud. Doch wie wir alle wissen, geht der Mensch am liebsten den einfachsten Weg. Es ist doch viel einfacher immer ein wenig unmündig zu bleiben, anstatt sich mit der wirklichen eigenen Wahrheit auseinanderzusetzen. Wir müssten akzeptieren, dass es genug ist, wenn wir uns selbst lieben. Dass wir niemanden brauchen, der Entscheidung für uns fällt und Schutz und Stärke in genügendem Ausmaß in uns selbst zu finden ist.
Ich glaube, zu diesem Schritt ist der Großteil der Menschheit noch lange nicht bereit. Denn dafür müsste jeder Mensch sich vorwiegend mit sich selbst beschäftigen. Die eigene Psyche müsste zum guten Freund werden und nicht ein unliebsames Etwas sein, dass viele immer noch aus ihrem Wortschatz und somit aus ihrem bewussten Leben streichen. Bevor wir Menschen also nicht begreifen, dass Gott nur ein Umweg ist, um uns selbst zu vertrauen, ist er notwendig für uns.