#Demokratie

Warum wir nicht in einer Demokratie leben

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Was alle angeht, sollten auch alle entscheiden dürfen

Demokratie – altgriechisch δημοκρατία für ‚Herrschaft des Staatsvolkes‘.
Im Ursprung des Wortes ist noch erkennbar, wofür diese Herrschaftsform steht, nämlich das Macht und Regierung vom Volk ausgeht. Wenn ich mir die heutige politische Landschaft anschaue, habe ich nicht das Gefühl, dass Macht und die Regierung vom Volk ausgehen und ich denke, dass ich mit dieser Ansicht nicht allein bin.

Es gibt verschiedene Strömungen zu diesem Thema. So gibt es die Bürger, die sich mehr Mitbestimmung wünschen und für mehr Volksentscheide sind. Dann gibt es die Gegner, die dem Wahlvolk Unwissenheit und Unvernunft unterstellen und sie damit für unfähig halten. Als Argumente für diese Einstellung werden dann gerne der Brexit herangeführt und auch der zunehmende Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien. Dass die Ursachen hierfür in mangelnder Mitbestimmung begründet liegen könnten, scheint nur wenigen einzufallen.

Ein großes Hadern um die Wählerschaft macht sich breit. Insbesondere sorgt man sich um die Wähler von AfD oder rechtspopulistischen Parteien. Wenn sich so viele Wähler auf diese „Bauernfänger“ einlassen, kann man ihnen dann überhaupt noch eine Wahl anvertrauen? Manche Politiker zweifeln an der Mündigkeit der Wähler, da sie nicht das wählen, was von ihnen erwartet wird. Das Erschwachen der etablierten Parteien wird besorgt beobachtet und die Gründe hierfür werden offenbar in der einfachsten aller Möglichkeiten gesucht, nämlich in der Torheit der Wähler.

Gute und schlechte Wähler

Schon vor Jahren hatte der damalige Frankfurter FDP-Chef Dirk Pfeil seine Zweifel an der Wahlmündigkeit der Wähler artikuliert. In einem Interview sagt er der Frankfurter Neuen Presse: „Es ist schlimm, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine politische Bildung genossen hat. Die Masse ist meinungslos, sprachlos.” auf die Frage, ob die Wähler zu ungebildet sind, um die FDP zu verstehen, antwortet er: „Die Masse ja.” Außerdem verzweifle er „am mangelnden Willen der Wähler, sich ein wenig schlauer zu machen.”
Wie man die Wähler “schlauer” machen könnte, darauf habe ich keine Antwort gefunden. Die Option, die eigene Politik für jeden verständlich zu machen, anstatt sie hinter endlosen unverständlichen Phrasen zu verstecken, besteht und würde in meinen Augen Sinn ergeben. Aber bisher muss man lange suchen, bis man verständliche Inhalte der großen Parteien findet.

Bisher werden Wähler gerne in zwei Arten eingeteilt: die Gute und die Schlechten. Die Guten klopfen sich auf die Schulter und loben sich dafür, das einzig Richtige zu tun. Die Bösen werden beschimpft, ausgeschlossen und zur nationalen Bedrohung hochstilisiert. Mittels eines Sündenbocks lassen sich alle Probleme leicht erklären. Wie es allerdings zu den Problemen gekommen ist und was sich dagegen tun ließe, bleibt dabei aus. Die Ursachen für genannte Wahlentscheidungen werden zwar von den Medien immer wieder thematisiert, ein Umgang damit aber nicht oder nur zögerlich gefunden.

Protestwähler als Zeichen von Politikverdruss

Warum es zum Erstarken von rechtspopulistischen Parteien oder vermasselten Volksentscheiden wie dem Brexit kommen konnte, resultiert auch aus verletzten Gemütern und einem über jahrzehntelange entstandenen Verdruss über Politik und die Landesführung. Viele fühlen sich von der etablierten Politik nicht repräsentiert und verstanden. Sie haben das Gefühl, bei politischen Alleingängen des Staates übergangen zu werden, wie im Beispiel der Flüchtlingskrise. Das hat ein Teil der Bevölkerung satt. Proteste werden laut und wenn die Stimmen der Bürger nicht gehört werden, suchen sie sich einen, der ihnen eine Stimme gibt. Ungeachtet dessen, ob dieser dann auch in Gänze fähig und willens wäre, die Interessen dieser Stimmen durchzusetzen. Die jahrelang entstandene Wut verlangte nach Entladung und daher war und ist es ein Leichtes für patriotische und rechte Parteien dieser Stimme Gewicht zu verleihen. Sie sprachen und sprechen dem wütenden Bürger mit ihren Worten und ihren Argumenten aus der Seele und bekommen den Zuspruch jener, die sich jahrelang nicht gehört und beachtet gefühlt haben.

Diese Wähler mag man als wütend und verdrossen beschreiben, als dumm und ungebildet sollte man sie nicht betrachten. Sie wollten wieder eine Stimme haben, sie wollten etwas bewegen können, und sei es durch eine sehr kontroverse Partei oder Entscheidung.
Statt der Mehrheit abzusprechen, wahlfähig zu sein, geht es vielmehr darum, die Bürger ernst zu nehmen in ihrem Wunsch nach mehr Mitbestimmung. Man sollte sie mehr einbinden in politisches Tun und in demokratische Entscheidungsprozesse. Viel früher und transparenter und nicht erst dann, wenn nichts mehr zu retten ist. Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten eine Stimme haben und die Entscheidungen im Sinne der Mehrheit getroffen werden kann.

Wenn sich wichtige Teile des Volkes nicht richtig vertreten fühlen, verlieren sie ihr Vertrauen in etablierte Parteien und wenden sich ab, bzw. anderen zu. Dann sollte es den geschmähten Parteien darum gehen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen. Aber wie kann das gehen? Könnte direkte Demokratie eine Lösung sein? Wie direkte Demokratie aussehen könnte, kann man sich am Beispiel der Schweiz ansehen. Die Stimmbürger aller Gemeinden, Kantonen und Bundesstaaten gelten als oberste Gewalt und entscheiden in Sachfragen abschließend. Viermal jährlich finden Volksabstimmungen statt, in welcher die Bürger in bis zu zehn Entscheiden über Sachfragen, Gesetze und auch über Haushaltsvorschläge abstimmen können. Diese Demokratieform gehört zu den beliebtesten Grundlagen des politischen Systems in der Schweiz.

Warum direkte Demokratie eine gute Alternative ist

Direkte Demokratie wird attraktiv. Das Bedürfnis der Bürger nach mehr Selbstbestimmung in politischen Fragen wächst. Auch andere Länder lassen vermehrt Sachverhalte per Volksentscheid zu. Der deutsche EU-Parlamentsabgeordnete und Mitbegründer des Vereins „Mehr Demokratie”, Gerald Häfner (Grüne) befürwortet diese Entwicklung. Er sieht aber auch die Schwachstellen in den Volksentscheiden anderer Länder. Denn worüber abgestimmt wird, wird von oben entschieden, während in der Schweiz fakultative Referenden und Volksinitiativen von den Bürgern ausgehen. Über welche Themen abgestimmt wird, liegt hier nicht in den Händen der politischen Repräsentanten. Nach Häfner kann direkte Demokratie nur funktionieren, wenn sowohl der abzustimmende Sachverhalt als auch die Abstimmung vom Volk ausgeht oder ausgehen kann. Volksabstimmungen wie sie z.B. in Großbritannien durchgeführt wurden (Brexit), sind in seinen Augen nur ein taktisches Mittel zur Bestätigung der Machthabenden und haben mit wirklicher Mitbestimmung der Bürger wenig zu tun. Auch der Politikwissenschaftler David Altmann sieht in dieser Art der Volksabstimmung eher einen schädlichen als einen wirklich demokratischen Geist.

Das Modell G1000

David van Reybrouck, ein belgischer Schriftsteller und Historiker, sieht im Brexit das demokratische Versagen der vorherrschenden Demokratie. Politiker, die politische Entscheidungen instrumentalisieren für ihre eigenen Zwecke, Medien, die nicht richtig aufklären und ein Volk, das frustriert ist von der vorherrschenden Politik. Sie lassen sich fangen von Populisten, die ihnen sagen, was sie hören wollen, richtige Inhalte kommen aber nicht an bei den Wählern. So treffen sie eine Wahlentscheidung auf ungenauer Wissensgrundlage. Van Reybrouck sieht in den vorherrschenden demokratischen Wahlen ein primitives Instrument. Er sieht die Macht nicht beim Volk, sondern bei den Medien und den Parteien. Die Medien beeinflussen und prägen die politischen Debatten und die führenden Parteien nutzen ihren Hoheitsanspruch aus. Mit Nähe zum Bürger hat das wenig zu tun, zumal Parteien und Bundespolitiker nicht vertrauenswürdig erscheinen. Das Vertrauen in die deutschen Spitzenpolitiker bewegt sich prozentual gesehen im einstelligen Bereich. Mehr Vertrauen wird den Landes- und Kommunalpolitikern entgegengebracht. Man kann mutmaßen, dass das auch an der größeren Nähe zum Bürger liegt.

Auf Bundesebene werden Wähler in van Reybroucks Augen wie „Wahlvieh“ behandelt. Sie sollen ihre Stimme abgeben, werden aber den Rest der Legislaturperiode nicht für voll genommen. Wähler sollten aber wie Erwachsene behandelt werden, nur dann fühlen sie sich auch ernst genommen und es kann eine wirkliche Macht vom gesamten Volk ausgehen.
David van Reybrouck hat ein Wahlsystem begründet, namens “G1000”, welches auf Rousseau und Montesquieu zurückgeht. Das System funktioniert durch Losentscheid.
Van Reybrouck hat es bereits getestet. In einem offenen Verfahren, das online ausgetragen wurde und an dem alle Bürger Belgiens teilnehmen konnten, wurde die Tagesordnung von allen Teilnehmern bestimmt. Die Punkte wurden somit mehrheitlich entschieden und nicht von den Organisatoren vorgegeben. Nach Abschluss der Umfrage wurden 1000 Menschen eingeladen, um auf einer Tagung über die beschlossenen Themen zu diskutieren. Ausgewählt wurden Menschen aus allen Schichten, ungeachtet welchen Hintergrund und Lebensweise sie hatten. Mediatoren leiteten die Diskussion, so das alle Meinungen gehört wurden und mit in die endgültige Entscheidung einfließen konnten. Es war ein erfolgreiches Unterfangen, auch wenn “nur” 700 der 1000 Ausgewählten erschien. Arbeiter, Akademiker und Obdachlose saßen zusammen und berieten über Themen wie den Sozialstaat, Migration und andere politische Themen und das in respektvollem Miteinander. Es war für die Teilnehmenden eine außergewöhnliche Erfahrung, die ihnen zeigte, wie Politik funktionieren kann.

Wenn Einzelne entscheiden, dass Dinge nur unter wenigen entschieden werden dürfen, ist es fast logische Schlussfolgerung, dass sich die Ausgeschlossenen auch ausgeschlossen fühlen. Sie für zu unfähig zu erklären, ohne Ihnen eine realistische Chance gegeben zu haben, sich zu beteiligen, ist keine Option, wenn man Bestand haben möchte.
So kann man es mit Max Frisch sagen:

“Was alle angeht, können nur alle lösen.
Jeder Versuch eines Einzelnen oder einer Gruppe,
für sich zu lösen, was alle angeht,
muss scheitern.”

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