Orange Day – Warum wir über Femizide sprechen müssen

Der Orange Day schreibt sich die Sichtbarmachung und die Aufklärung rund um das Thema: „Gewalt gegen Frauen“ auf die Fahne und ich möchte mit diesem Artikel einen kleinen Beitrag dazu leisten.

Wenn man über etwas sprechen möchte, was komplexer ist, als dass es in einem Wort verdeutlicht werden könnte, dann ist das mitunter schwierig.
Sachverhalte korrekt auszudrücken, ohne sie umständlich erklären zu müssen, hat Vorteile. Ein präziser Begriff lässt sich nicht nur einfacher aussprechen, er schafft auch Reichweite. Werbetexter nutzen dieses Phänomen vielseitig.
Ein Wort kann ein komplexes Thema in einer Sekunde wachrufen. Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für einen Sachverhalt zu erzeugen, ist ein spezifischer Begriff Gold wert.

Der Begriff „Femizid“ benötigt genau das, Aufmerksamkeit. Aber wie bei jedem Begriff, kann jeder seine eigene Auffassung davon haben. Daher kann ein Begriff auch irreführen, wenn die Definition nicht bei jedem eindeutig hinterlegt ist.

Schaut man sich die Geschichte an, so wurde er Begriff „femicide“ erstmals 1848 in einem englischen Rechtslexikon als „Tötung einer Frau“ definiert. Der Begriff setzte sich aber nicht durch. In den 70er Jahren griffen Feministen den Begriff wieder auf. Definiert wird mit dem Wort Femizid die Tötung einer Frau oder eines Mädchens als extreme Form geschlechtsbezogener Gewalt.

Alternativ gibt es den Begriff des „Genderzids“, der geschlechterspezifische Gewalt im Allgemeinen benennt. Es fällt mir schwer, diesen Begriff, dem des Femizids vorzuziehen. Denn es geht an diesem Tag, den 25.11.2024 darum, die Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen. An diesem Tag ist somit der Begriff des Femizids sinnvoller belegt. Ob der Genderzid für staatliche Institutionen, wie Gerichte, nicht der bessere Begriff wäre? Ich denke schon. Allerdings verwenden Gerichte aktuell meines Wissens gar keinen dieser Begriffe.

Hinter diesem Begriff kann sich allerdings auch anderes verbergen. Manche sehen darin einen Kunstbegriff, der Männer unter Generalverdacht stellt, Frauen etwas Böses antun zu wollen. Auch sollen Opfer von Gewaltdelikten falsch mit diesem Begriff geframed werden. Zum Beispiel, dass eine Frau Opfer bei einem Bombenattentat wurde, die also nicht aufgrund ihres Geschlechts Opfer wurde, sondern eher aus Zufall. Da Gerichte den Begriff Femizid nicht führen, ist dieses Szenario relativ unwahrscheinlich.
Befürworter des Begriffs „Femizid“ sehen darin, die Möglichkeit Aufmerksamkeit für ein Thema zu erreichen, über das dringend mehr gesprochen werden muss. Denn die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, ist kein auslaufendes Randphänomen, dass sich im Zuge der fortschreitenden Gleichberechtigung so und so bald auflösen wird. Diese Form der Tötungen nehmen zu. Sowohl weltweit als auch in Deutschland.
Alle 3 Minuten wird eine Frau Opfer häuslicher Gewalt, jeden Tag werden 140 Frauen und Mädchen Opfer von sexuellen Straftaten und fast jeden Tag stirbt eine Frau. Hass und Gewalt gehören für viele Frauen zum Alltag dazu. Für ein Land, das sich in Bezug auf Gleichberechtigung und Fairness weit vorn sieht, sind diese Tatsachen beschämend.
Zur Veröffentlichung der Statistiken gab es betroffene Stimmen zu diesem Thema. Es müsse mehr gegen die Täter und mehr für Frauen in Not getan werden. Denn Hilfestellen, Frauenhäuser sind seit je her unterfinanziert. Ich hoffe und wünsche sehr, dass diese Worte keine hohlen Phrasen bleiben.

Das letzte Jahrhundert hat in der westlichen Welt viel erreicht in Sachen der Gleichberechtigung. Gesetze wurden geändert, Wertvorstellungen haben sich geändert, Karriere Chancen haben sich geändert. Die heutige Zeit dagegen ist sehr ambivalent. Junge Frauen fordern ihre Chancen mit Selbstbewusstsein ein. Sie haben das Recht, die gleichen Chancen zu fordern, die auch für Männer gelten. Das heißt nicht, dass sie sie ebenso bekommen, aber das gesellschaftliche Verständnis ist prinzipiell bereit für solche Forderungen. Firmen haben einen Mehrwert, wenn sie sich für Gleichberechtigung einsetzen.
Die Gesellschaft strebt nach einer Kultur, in welcher jeder die gleichen Chancen haben soll. Im Privaten aber ist seit einiger Zeit zu beobachten, wie die alten Werte, also patriarchales Denken, ein Revival erleben. Frauen sollen schön sein, sie sollen Mütter sein, sie sollen Hausfrau sein, sie sollen ihrem Mann gehorchen, ihn als Oberhaupt der Familie akzeptieren, ihr Leben in seine Hand legen.

Da prallen Welten aufeinander. Vor allem in Beziehungen kann dieses zerrissene Gefüge explosiv sein. Viele Frauen gehen davon aus, gleichberechtigt zu sein, eigenständig leben zu können. Wenn eine solche Frau auf einen Mann trifft, der nach den alten Werten lebt, dann ist Drama meist vorprogrammiert.
Femizide kommen oft dann zustande, wenn eine Frau sich aus einer kontrollierenden Beziehung emanzipieren will. Wenn sie ihre Freiheit einer Beziehung, die sie in Ketten legt, vorzieht. Das kann einen patriarchalisch denkenden Mann in eine verzweifelte Lage bringen. Er muss die Kontrolle behalten, aber diese entzieht sich ihm. Das Ergebnis ist Hilflosigkeit und dieses Gefühl ist immer noch eines der Gefühle, das wir Menschen am schlechtesten Aushalten. Verliert man das, was einen ausmacht, kann das zu Raserei und schlimmen Affekthandlungen führen.

Wenn das Schlimmste, was Partner sich antun können, geschehen ist, folgt eine Verurteilung. Und selbst hierbei ist erkennbar, dass Femizide milder beurteilt werden als andere Tötungen. Dr. Julia Habermann hat zu diesem Thema geforscht und interessante Fakten zutage gefördert.

Femizide werden seltener als Mord beurteilt. Die Beweggründe für die Tötung werden leichter zu Gunsten des Täters ausgelegt, als zu Gunsten des Opfers.
Das resultiert auch daraus, dass Gerichte nicht nach einem festen Regelwerk, welches sich explizit mit Gewalt gegen Frauen befasst, urteilen. Diese Thematik spielt hier keine gesonderte Rolle, sondern die Verurteilungen werden aufgrund anderer Kriterien getroffen. Vergleichbar ist das mit Verurteilungen, die aufgrund rassistischer Beweggründe begangen werden. Hier gibt es Regelwerke, die Anwendung finden. Ein solches Regelwerk gibt es für Femizide oder misogyne Straftaten nicht.

Ein weiterer wichtiger Baustein in puncto Gewalt gegen Frauen sind Einrichtungen, die Frauen Hilfe bieten, wenn sie Gewalt ausgesetzt sind. Es gibt sowohl beratende und unterstützende Institutionen, Notruftelefone als auch für den Ernstfall Schutzwohnungen und Frauenhäuser. Allerdings gibt es gerade in Frauenhäusern zu wenige Plätze. Die Bundesländer erfüllen die Auflagen nicht, nach denen es pro 10.000 Einwohner 2,5 Plätze in Frauenhäusern gewährleistet werden müssten.

Die Istanbul-Konvention, die ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt darstellt, wurde am 01.02.2018 in Deutschland eingeführt. Der erste Bewertungsbericht der Expertengruppe GREVIO wurde am 07.10.2022 veröffentlicht.
Dieser Bericht verzeichnet Erfolge, die seitdem in Deutschland umgesetzt wurden. Er enthält aber auch die Bereiche, in denen noch Nachholbedarf besteht.

Als Erfolge sind Strafrechtsänderungen, wie die „Nein heißt Nein“ Regel, die jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen des Opfers unter Strafe stellt, zu nennen. Außerdem die Kriminalisierung von technologieunterstützter geschlechtsspezifischer Gewalt, z. B. Cyberstalking, das Teilen von Bildern im Internet u. a. Auch die veröffentlichten Statistiken des Bundeskriminalamts und die damit verbundene Sichtbarmachung von z. B. Partnerschaftsgewalt, kann positiv hervorgehoben werden.
Aber es, die GREVIO zeigt auch auf, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht. Dazu gehört, dass es keine funktionierende Koordinierungsstelle gibt, die landesweite Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung initiieren und koordinieren kann.
Außerdem fehlt es an Aus- und Weiterbildungen, sowohl für Angehörige als auch für Berufsgruppen, die sich mit diesem Thema befassen müssen. Dieser Punkt macht deutlich, welche Aufgaben auch die Justiz noch vor sich hat, um misogyne Straftaten gerecht zu beurteilen.
Breiter aufgestelltes, systematisch verankertes Schulungsprogramm
„Notwendig sei dies unter anderem, um die in Justiz und bei den Strafverfolgungsbehörden bestehenden und viele Gerichtsverfahren bestimmenden Geschlechterstereotype und Vergewaltigungsmythen abzubauen. Im Bereich der Familiengerichtsbarkeit führe die fehlende Sensibilisierung zudem dazu, dass bei Sorge- und Umgangsstreitigkeiten die Rechte und Sicherheit der Betroffenen von häuslicher Gewalt oft nicht ausreichend beachtet würden.“
Des Weiteren wird ein Mangel an Schutzräumen, bestehende Barrieren beim Zugang zu Beratung- und Schutzstellen und auch die mangelnde Berücksichtigung besonderer Umstände von Schutzsuchenden angemerkt.

Gewalt gegen Frauen ist ein Bereich, in dem viel getan werden sollte, um Gewalt im Allgemeinen zu verhindern und Betroffene zu schützen und/oder ihnen die Hilfe anzubieten, die sie benötigen.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gewaltprävention eher stiefkindlich von der Regierung behandelt wird. In krisenbehafteten Zeiten mag dies nicht verwunderlich erscheinen, zu viele Punkte wollen beachtet werden. Aber dieser Zustand hat nicht erst in den letzten Jahren zu wenig Beachtung gefunden.
Bleibt zu hoffen, dass dies kein Dauerzustand ist und das Gruppen wie die GREVIO es schafft, den Finger so lange in die Wunde zu legen, bis wenigstens alle Punkte der Istanbul-Konvention umgesetzt werden können.

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