„Mensch Alte, geile Melonen!“
„Schöner die Glocken nie klingen.“
„Komm Kleine, geh mit uns, wir haben nen viel größeren Schwanz als der Typ da.“
In meiner Zeit in Köln habe ich solche und ähnliche Sprüche des Öfteren gehört.
Vielen Frauen geht das ähnlich. Die einen ignorieren es, andere wehren sich und wieder andere fühlen sich geschmeichelt.
Diese sexistischen Sprüche sollen Interesse bekunden und sind somit eine Art von Flirt, die mal besser mal schlechter ankommen. Flirts sind etwas Normales und gehören zum Leben dazu. Egal, wie sie gestaltet sind, es geht darum, gegenseitige Aufmerksamkeit zu erlangen. Diese Aufmerksamkeit kann sexuelle oder auch ehrliche Absichten haben. Die Grenzen zwischen einem harmlosen Flirt und sexueller Belästigung sind fließend und unterliegen einer individuellen Wahrnehmung.
Einige rechtfertigen sie damit, dass sie ja nur ehrlich ihre Empfindungen ausdrücken wollen. Aber am Ende ist es eben doch mangelnde Selbstkontrolle, denn wer ist in anderen Bereichen schon ähnlich ehrlich?
In den letzten Jahren ist die Debatte um Sexismus ins Rollen gekommen und die „Harmlosigkeit“ jedes Flirts ist dem Vorwurf des Sexismus gewichen. Selbst Bekundungen wie: „Du siehst heute hübsch aus“, stehen unter Generalverdacht, rein sexuelle und herabwürdigende Ambitionen zu haben.
Es ist wie mit vielen Dingen, die sich im Laufe der Zeit wandeln.
Da gibt es immer die, die es machen, wie es schon immer war, und es gibt die, die sich dem Fortschritt anschließen und es anders machen. Zum einen, weil sie den Sinn darin erkannt haben, zum anderen auch, weil sie dem Zeitgeist folgen und merken, dass ein solches Verhalten nicht mehr von jedem bedingungslos akzeptiert wird.
Die Debatte um Sexismus ist für so manchen Mann ein Schlag ins Gesicht. Seit je her behandeln sie Frauen, wie es „immer“ getan wurde. Und von heute auf morgen ist dieses Verhalten falsch. Wieso eigentlich? Sie lieben doch Frauen, empfinden sie als attraktiv, sehen sie gerne an. Sie sind ihre Frauen, Freundinnen, Mütter ihrer Kinder. Dabei sind sie für sie so viel mehr, als eine objektive Bewertung. Dennoch werden Männer für ihre visuellen Bewertungen weiblicher Körperteile abgestraft und der eine oder andere wird sich fragen, wieso ein Kompliment auf einmal eine Beleidigung ist?
Definition von Sexismus
Unter dem Begriff Sexismus kann man sich viel vorstellen. Ein bisschen ist dieser Begriff wie ein Schwamm, bleibt er trocken ist er klein und fest. Aber man kann ihn auch aufladen, mit Worten, mit Meinungen, mit Taten. Für die einen bleibt es ein kleiner fester Schwamm, den man in einer Schublade vergisst. Andere finden mehr und mehr, womit sie diesen Schwamm gießen können. Ihr Schwamm wird größer und größer, und es wird immer schwieriger, ihn zu tragen.
Darin liegt zum Teil das Problem, denn gegossen wird ein solcher Schwamm nicht von allein. Dafür braucht es Bereitschaft, Hintergrundwissen und öffentliche Anerkennung. Seit mehr über Sexismus debattiert wird, ist es einfacher geworden, seinen Schwamm an entsprechender Stelle auszuwringen. Betroffene haben mit dieser öffentlichen Debatte Rückenwind bekommen und es wird einfacher zu begreifen, was lange im Verborgenen bleiben musste.
Sie haben fortan ein Mittel, mit dem sie die Ungerechtigkeiten ansprechen können, die ihnen oder anderen widerfahren sind.
Wenn man sich mit diesem Thema beschäftigt, merkt man schnell, wie weit dieses Feld ist und wie viel es darüber zu wissen gibt. Dieses Wissen kann ohnmächtig machen. Man selbst hat zwar einen triefnassen Schwamm, aber das Gegenüber hat seinen Schwamm längst irgendwo vergessen. Da hilft es auch nicht, sie mit diesem nassen Schwamm zu bewerfen. Sie merken, dass sie kurz nass davon werden aber, sobald sie getrocknet sind, ist auch das Thema wieder verschwunden.
Für mich hat die Debatte um Sexismus tatsächlich etwas mit dieser Metapher gemein. Feministen erkunden dieses Gebiet, erkennen die Ungerechtigkeiten und wollen auch andere davon überzeugen, wie wichtig dieses Thema ist. Warum sich alle damit beschäftigen sollten, nicht nur die Betroffenen. Aber wenn jene, die ihnen gegenüber sitzen, keinen Nährboden für dieses Thema haben, wird es problematisch. Sie bemerken, wie sie beworfen werden, aber empören sich eher darüber. Ihre Definition von Sexismus hat nichts mit dem zu tun, was umfangreich informierte mit diesem Begriff verbinden. Man kann keinen Konsens finden, wo es keine einheitliche Auffassung gibt. So bleibt es meist dabei, dass aneinander vorbeigeredet wird.
Aber natürlich gibt es offizielle Definitionen:
Sieht man einen Menschen an und sieht in ihm keine Person, sondern ein Objekt für eigene Zwecke, dann ist das Sexismus. Äußert man Worte über eine Person, um sich zu profilieren, um seine sexuelle Lust zu wecken oder zu steigern, dann ist das Sexismus. Nutzt man eine Person, um die eigene Dominanz oder Macht darzustellen, dann ist das Sexismus. Taten, Worte und Bilder sind dann sexistisch, wenn in ihnen weder die Freiheit noch die Würde, noch der Wille einer Person respektiert wird. Dabei ist es gleich, wie es vom Ersteller gemeint ist. Entscheidend ist, wie es benannte Person empfindet. Daher kann Sexismus auch nicht pauschal bei allen Menschen gleich bewertet werden.
Bewunderung und Objektivierung gehen oft Hand in Hand
Die Bewunderung von Frauen war lange Zeit akzeptiert und auch erwünscht. Die moderne Debatte über Sexismus hat offenbart, dass diese Bewunderung nichts Bedingungsloses ist, sondern dass sie mit ausbeuterischen Strukturen Hand in Hand geht. Wenn etwas Ungerechtes lange Zeit im Verborgenen bleibt, so ist deren Offenbarung mit Wut und Leid derer verbunden, die dadurch geschädigt wurden. Der Aufschrei der Offenlegung stellt bestehende Strukturen infrage und belädt sie mit vielen Emotionen. Die damit einhergehende Wut und auch Verunsicherung sind nicht leicht zu ertragen. Es benötigt Zeit, um allen Mitgliedern einer Gemeinschaft klarzumachen, warum etwas inakzeptabel geworden ist, was vorher erwünscht war, und auch, wie es fortan anders weitergehen kann.
Ich erinnere mich dabei an das Gedicht von Eugen Gomringer. Er hatte damit den Alice Salomon Poeten Preis gewonnen und so wurde es an eine Wand der Alice Salomon Hochschule geschrieben. In diesem Gedicht geht es um die Bewunderung von Frauen. Ich hatte einen Artikel darüber geschrieben, in dem ich mich ziemlich über diese Zensur aufgeregt hatte. Das Gedicht wurde überstrichen, weil es sexistisch sei und patriarchale Strukturen unterstütze. Zu der damaligen Zeit habe ich das absolut nicht verstanden.
Aus heutiger Sicht betrachtet, verstehe ich es schon eher. Die letzten Jahre haben mir in der einen oder anderen Sache einen neuen Blickwinkel gezeigt. So ging es mir auch mit dem Sexismus. Denn dieser geht mit einer Objektivierung einher.
Ich will es am Beispiel des Gedichts verdeutlichen. Der Dichter beschreibt einen Weg durch Alleen, in welchem der Betrachter Blumen und Frauen bewundert. Ist Bewunderung nun etwas Falsches? Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Es geht nicht darum, Bewunderung zu verbieten. Es geht darum, dass diese Art der Bewunderung ohne eine Objektivierung nicht funktioniert. Die Frau wird nicht für sich selbst bewundert, sondern sie wird zuerst verglichen mit Bäumen und Blumen und dann wird sie für diesen Vergleich bewundert. Und eben das ist des Pudels Kern.
Wird ein Mensch zu einem Objekt erklärt und dann für diesen Status eines Objekts bewundert, dann ist das verwerflich. Menschen sind Persönlichkeiten, die weit über ihr Aussehen hinaus beachtenswert sind. Sie zu verdinglichen macht sie zu etwas, was man nicht zu achten braucht, denn es ist nur ein Ding. Ein Ding kann man behandeln, wie man es will. Auch wenn man in der Regel mit schönen Dingen pfleglicher umgeht, so bleiben sie doch Dinge. Seelenlos und leblos.
Objektivierung als Kriegstaktik
Objektivierung gibt es auch in anderen sozialen Bereichen. Man denke an die Art Propaganda, die in Kriegszeiten publiziert wird. Den Feind zu objektivieren, ist eine altbekannte Kriegstaktik. Dabei wird alles Feindliche gleichgesetzt mit Unrat, Ungeziefer oder anderen metaphorischen Beleidigungen.
Man bezeichnet Menschen, die man zu Feinden erklärt hatte, als Insekten oder andere Tiere, deren Tod leichtfertig in Kauf genommen werden kann. Warum macht man das? Um das eigene Volk darauf einzustimmen, dass der Feind des Lebens nicht würdig ist und die Hemmungen, einen Menschen zu töten, leichter zu überwinden sind. Eine Schabe tritt man schließlich auch teils mit Freuden tot, weil es ein Schädling ist. Genau dieses Bild wünscht sich ein Kriegstreiber von seinen Soldaten und von seinen Bürgern.
Objektivierung wertet Menschen in jedem Kontext ab
Sicher ist dies ein krasser Vergleich und man kann es auch nicht direkt gleichsetzen, aber es geht darum, dass es Gründe gibt, warum der Mensch Objektivierungen vornimmt. Sie sind Mittel zum Zweck und wie ein altes Sprichwort besagt, heiligt der Zweck die Mittel. Der Zweck allerdings ist in beiden Gebräuchen schäbig. Zum einen soll eine breite Masse ein bestimmtes Bild einer Gruppe bekommen und diesem Bild folgend eine Haltung gegenüber dieser Gruppe von Menschen einnehmen. Zum anderen geht es darum, die benannten Gruppen einzuschüchtern und ihnen über den gesellschaftlichen Konsens zu zeigen, dass sie diese Behandlung verdient haben.
In beiden Fällen werden Personengruppen herabgewürdigt, unterdrückt und ausgebeutet.
Für viele geschieht dies unbewusst. Sie fügen sich in die Gepflogenheiten des Umfelds ein und halten es für normal. Das gilt für die Betroffenen und auch für jene, die diese Degradierung unterstützen.
Ich weiß selbst noch sehr gut, wie das war, in eine solche Gesellschaft hineinzuwachsen. Lange Jahre ging ich davon aus, dass Frauen einfach nicht so viel wert sind wie Männer und dass Männer das Recht hätten, einen sexuell auszubeuten oder einen schlecht zu behandeln. Es hat viel Zeit und Kraft gebraucht, um mich aus diesem Denken zu befreien. Dumme Sprüche höre ich auch heute immer wieder. Je nach Situation kontere oder ignoriere ich es oder ich versuche dem Gegenüber klarzumachen, dass man so nicht mit mir umgeht. Im besten Fall kommt mein Gegenüber ins Nachdenken und reflektiert dieses Verhalten. Denn einen bewussten Umgang damit haben die wenigsten. Die Frage, ob das eigene Handeln legitim ist oder ob es Menschen verletzt, wird nicht immer gestellt. Es muss andere geben, die diese Fragen stellen.
Auch heißt es, dass Worte doch nur Worte sind und damit „nicht so ernst gemeint“ sind. Oder auch, dass sexistische Rhetorik nur dann sexistisch ist, wenn sie direkt an eine Person gewendet ist. Dabei wird übersehen, dass Sprache unsere Realität prägt. Worte, die andere abwerten, die benutzt werden, um jemanden zu instrumentalisieren, sind eine temporäre Entmenschlichung.
In einem Umfeld, in dem Frauen stetig degradiert werden, entsteht eine Haltung, die Frauen zu jeder Zeit minderwertig erscheinen lässt.
Wenn eine solche Haltung verinnerlicht ist, entsteht auch im Umgang mit Frauen das Gefühl, dass für sie nicht die gleiche Form von Respekt gilt, wie sie Männern gegenüber gebracht wird. Das gilt für die Ernsthaftigkeit, Leistungsbereitschaft, logisches und pragmatisches Denken und auch die Verfügbarkeit über den eigenen Körper.
#metoo deckte auf, was lange versteckt werden musste
Die #metoo Bewegung hat gezeigt, wie sexistische Männer mit Frauen umgehen und was passieren kann, wenn der Respekt vor Frauen verloren gegangen ist. Sie nutzten ihre Macht, um Frauen auszubeuten, sie zu benutzen und anschließend verwundet zurückzulassen.
Die schöne Blume wurde gepflückt und zur Wehr hatten die Frauen nur ihre natürlichen Dornen. Diese nimmt „der Knabe“ gerne in Kauf, so wie es Goethe bereits in seinem „Röslein auf der Heide“ beschrieb.
Nach diesen sexuellen Übergriffen konnten Frauen eine sehr lange Zeit nur in ihr vertrautes Heim flüchten und sich bei engen Vertrauten ausweinen. Von offizieller Seite konnten sie kein Verständnis, geschweige denn Vergeltung erwarten. Es war normal, dass die Täter geschützt wurden, um kein Aufsehen zu erregen.
Sexuelle Übergriffe, öffentlicher Natur, haben durch #metoo für eine Zeit eine Bühne bekommen. Ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Sexismus. Was allerdings tagtäglich in Familien und Beziehungen passiert, ist weiterhin ein Tabu-Thema. Die Kriminalitätszahlen sind nach wie vor erschreckend, vor allem wenn man bedenkt, dass das nur die zur Anzeige gebrachten Fälle darstellt. Alle 4 Minuten erlebt eine Frau Gewalt und jeden 3. Tag wird eine Frau in Deutschland ermordet. Allein aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind (Richter, die eine solche Tat bewerten, vergeben meist milde Strafen. Das spricht dafür, dass Frauen einen anderen Status als Männer haben. Auf dieses Thema werd ich in einem der folgenden Artikel näher eingehen).
Psychische vs. physische Gewalt
Neben der physischen Gewalt gibt es die psychische Gewalt. Zahlen dazu sind kaum zu erheben, da diese Gewalt eben nicht sichtbar ist. Ich weiß selbst noch, dass ich mir manchmal gewünscht hätte, mein Partner würde mich schlagen. Dann hätte ich wenigstens zeigen können, was mir angetan wurde. So hatte ich nichts in der Hand, aber viel Panik in mir. Ich rang um Worte, um zu zeigen, was mir angetan wurde. Aber ich fand sehr lange keine. Ich war eines Tages so weit, dass ich selbst dachte, verrückt zu werden und kurz davor war, mich einweisen zu lassen.
Wenn bereits eine solche Kontrolle vom Partner aufgebaut wurde, kommt keiner unbeschadet aus dieser Beziehung heraus. Beide Partner unterliegen einem unglaublichen Druck. Der Aggressor, weil er in jedem Fall die Kontrolle behalten und das Opfer, weil es einerseits gehorchen muss, andererseits aber merkt, wie wenig tragbar diese Situation ist. Beide leiden unter einem Rollenbild, das ihnen durch eine patriarchale Gesellschaftsstruktur vorgegeben wurde. Daraus auszubrechen zerstört Weltbilder und nicht jeder hält das aus. Anstatt diese Weltbilder auf Validität zu prüfen, verlieren sich Paare in gesellschaftlichen Vorgaben und zerstören sich damit gegenseitig.
Es ist ein großer Bogen, den ich hier spanne. Die optische Bewertung von Frauen mündet in Gewaltexzesse und Mord. Das eine folgt nicht unweigerlich aus dem anderen, aber Sexismus hilft dabei, toxische Strukturen aufrechtzuerhalten, die zu einem solchen Rollenbild führen.
Ein sexistisches Weltbild verhindert jeden Fortschritt in Richtung Gleichberechtigung und schadet daher auch Männern. Denn patriarchale Denkmuster pressen jedes Geschlecht in ein Korsett, das sie sich nicht selbst angelegt haben. Gesellschaft und Kultur schmiedeten dieses Korsett und überlassen es den Eltern ihre Kinder in dieses Korsett zu pressen.
Ein freies, selbstbestimmtes Atmen ist damit kaum möglich.
Es sind viele Faktoren, die zu dem Sexismus geführt haben, den wir heute vorfinden. Eine große Rolle dabei spielt unsere Geschichten und die Verhaltensweisen, die zu dieser Zeit geprägt wurden. Die Menschheit kann sich rasend schnell wandeln. Das haben gerade die letzten hundert Jahre eindrücklich gezeigt. An Maschinen und Dinge, die das Leben erleichtern, gewöhnen sich viele Menschen schnell. Wenn es aber darum geht, dass eine Gesellschaft von Menschen ihr Verhalten oder ihre Denkweise ändert, dann dauert das sehr lange.
Auch eine um sich greifende Moralkeule, die von der Regierung geschwungen wird, kann daran wenig ändern. Sie führt eher dazu, dass Symbolpolitik betrieben wird, hinter vorgehaltener Hand aber tickt jeder noch wie früher. Symbole sind für sie eine Art Rosenkranz, den sie um den Hals tragen. Man zeigt seinen Mitmenschen, wie gläubig man ist. Benutzen tun sie ihn deswegen noch lange nicht.
Im nächsten Artikel werde ich mich mit der Geschichte und mit der optischen Bewertung von Frauen beschäftigen, um den Ursachen von Misogynie und Sexismus auf die Spur zu kommen.