Großer Bruder Schmerz

Schmerz ist wie LSD, er geht über alles andere hinaus, bringt einen in eine Welt, die nur jene verstehen, die es selbst und mit dem eigenen Körper, der eigenen Psyche erlebt haben.
Er hinterlässt einen in dieser Welt, solange er anhält und solange er den ganzen Raum einfordert. Wann ist man einsamer als unter andauernden Schmerzen?
Diese Welt kann man kaum erklären. Angehörige stehen besorgt neben einem, aber haben nicht den Ansatz einer Chance, wirklich zu begreifen, wie es einem geht. Ihre Versuche diese Welt zu betreten oder besser einem selbst aus dieser Welt zu helfen, sind so unbeholfen wie die Schritte eines einjährigen Kindes. Ebenso geht es den meisten Ärzten. Sie versuchen meist gar nicht zu verstehen, woher der Schmerz kommt. Sie schreiten die vorgezeichneten Schritte ihrer fachlichen Käsekästchen ab und wenn sie oben angekommen sind, gehen sie die gleichen Schritte wieder zurück, ohne nach links oder rechts zu schauen. Sind sie am Ende angelangt, stellen sie ihre endgültige Diagnose, ohne dem Patienten auch nur die Chance einer anderen Meinung zu lassen. Diese Chancen muss man sich wieder und wieder mühsam erkämpfen. Aber je mehr Ärzte man besucht, umso unwahrscheinlicher wird eine wirkliche Lösung gefunden, da jeder Arzt sich auf den vorigen Kollegen verlässt, oder auf den folgenden.
Die Schmerzgeplagten befinden sich in einem nie endenden Kreislauf aus Hoffnung und Schmerz, wobei der Schmerz stets die Oberhand behält.
An schmerzfreien Tagen hat man das Gefühl auf Koks zu sein. So viel ist möglich, so viel gelingt, das Gefühl „die Welt gehört mir“ breitet sich aus. Man macht Pläne und will all das umsetzen, was sonst in tiefen Gehirnwindungen sitzt und einen geißelt, weil es doch gemacht werden will. Aber man kann nicht. Und nun könnte man, aber bevor man wirklich damit anfangen kann, ist der Tag vorbei, der Schmerz wieder da. Wirft einen zurück in seine gepeinigte Welt.
Schmerz kann wie ein großer Bruder sein, der stets neben einem steht, die Hand auf der Schulter. Manchmal nur mit mahnendem Druck. „Das würde ich jetzt lieber lassen.“ Aber manchmal wird der Druck stärker, der Griff bohrt sich tief in die Haut. „Wenn du das jetzt tust, dann …“. Das Verhältnis zu diesem Bruder ist zwiegespalten. Einerseits vertraue ich ihm, andererseits habe ich Angst vor ihm. So verschwimmt das Vertrauen, mischt sich mit der Angst. Als würden sich Schwarz und Grün mischen. Anfangs kann man beide Farben schimmern sehen, wie sie ineinander fließen. Beide Farben präsent und im gesunden Verhältnis. Aber am Ende gibt es nur noch ein schwarz mit einer Spur grün, die man nur sieht, wenn das Licht darauf fällt. Und man glaubt auch nicht mehr an dieses Grün, man sucht es nicht mehr. Dann ist es am schlimmsten, dann hat die böse Seite des Schmerz-Bruders gewonnen, der Kampf ist verloren. Wenigstens für den Moment, bis er den Griff etwas lockert, der Schmerz etwas nachlässt. Dann kann wieder Licht durchkommen.
Dennoch die stete Frage: Wie kann ich an das Gute von etwas glauben, wenn es ein solches Leiden bedeutet und durch nichts aufzuhalten ist?
Dieser Schmerz, der chronische Schmerz, hat seinen einstigen Nutzen verloren. Vielleicht ist es auch das, warum es anderen Menschen so schwerfällt zu verstehen, was an diesem Schmerz so schlimm sein soll. Denn sie kennen den Schmerz nur als großen Bruder, der stets ihr Gutes will. Der sie warnt, vor Überlastung schützt. Wie kann das schlecht sein?
Diese Trennung zwischen sich und „den anderen“ lässt die ohnehin schon dunkle Welt noch düsterer werden. Gefangen in einem Gruselhaus, in dem einem keiner zu Hilfe kommen kann. Zurückgeworfen auf all die Dämonen im eigenen Kopf.
Verzweifelt stehe ich im Eingang dieses Hauses, die kirschholz Wendeltreppe knackt leise, irgendwo schlägt ein Fenster auf und zu. Ist es nur der Wind? Das einzige Licht kommt vom Vollmond, hämisch grinst er mich an.

Lässt die Schatten groß werden, bevor sie in Bewegung kommen und um mich herumtanzen. Da sind sie, all die Dämonen, die mir zeigen wollen, wie überflüssig ich bin, wie wenig ich für dieses Leben tauge. Verzweifelt sinke ich auf den Boden, versuche zur Tür zu kommen, wieder Kontakt zur Außenwelt zu erlangen. Nicht immer gelingt es.

„Durch den Schmerz hindurch atmen“, so habe ich es im Ballett gelernt, als ich mit dem Spitzentanz angefangen habe. Das ist der Anfang. Am Ende geht es darum, durch den Schmerz durchzuleben. Ihm nicht zu viel Bedeutung beizumessen, in jedem Moment in dem das möglich ist. Augen auf, Mund zu und einen Schritt nach dem nächsten gehen. Atemzug um Atemzug, bis er irgendwann ein wenig besser wird und die Freude am Leben wieder klarer.

5 thoughts on “Großer Bruder Schmerz

  1. Ludvi Smaragdi - ein Alias says:

    ‚War schon länger nicht mehr hier auf der website. Heute wie früher verwirbelt sie Verstand mit Gefühl. Obwohl ich die zähklebrigen nicht endenden Frauenthemen auf so vielen ‚Frauenseiten‘ im Netz nur noch sorry, abstossend finde, ich habe inzwischen aufgehört den [Kampf]Feminsitinnen die Erfahrungen von alltäglicher Geringschätzung, verbaler Herablassungen, subtiler Gewalt durch Frauen an Jungen und Männern näherzubringen, die für immer im Dunkeln bleiben wird, weil Jungs in der Regel sich nicht dauernd über irgend etwas lauthals beschweren, so veranlasst mich dieser!! Beitrag dennoch zu folgender Bereicherung:
    ` Leiden und Schmerz sind immer die Voraussetzung umfassender Erkenntnis und eines tiefen Herzens.
    Mir scheint, wahrhaft grosse Menschen müssen auf Erden eine grosse Trauer empfinden.´
    F.M. Dostojewski

    War die Bereicherung hilfreich? Ja Nein

    Bitte gehen sie weiter. Hinterlassen sie keine Spuren. Es ist nicht erwünscht, diese Frage zu stellen;
    warum kann der Schmerz wie ein großer Bruder nicht aber wie eine große Schwester sein ?

    Proud to be a feminist – – – wie schon der Volksmund sagt: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz

    Polarisierte Welten 41. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Sozio­lo­gie vom 26. bis 30. September 2022 an der Universität Bielefeld
    https://soziologie.de/aktuell

    • Ilka Bühner says:

      Das scheint ja eine Hass-Liebe zu sein, die „Frauenthemen“ und du. Warum sonst liest Du Beiträge, die Dich so abstoßen? Jeder darf seine Meinung haben, aber man muss nicht jede Meinung ernst nehmen.
      Die Rollenmodelle in dieser Gesellschaft sind schädlich, für beide Geschlechter. Deswegen muss man aber den einen Kampf nicht schlecht machen, nur weil ein anderer Kampf noch nicht richtig stattfindet. Zudem wird die Thematik um Gleichberechtigung gesellschaftlich nach wie vor nicht wirklich ernst genommen. Wenn geht es nur um das Alibi, so zu tun als würde man sich um Feminismus scheren. Das schadet den Frauen mehr als es nutzt. Noch immer sterben mehr Frauen an Herzinfarkten, einfach weil sich nicht richtig erkannt werden. Medikamente sind auf weiße Männer zugeschnitten, was sie bei allen anderen anrichten? Das sieht man, wenn sie sie nehmen. Jeden 3. Tag wird hierzulande eine Frau getötet, wahrscheinlich einfach nur weil sie eine Frau ist. Natürlich gibt es auch Frauen, die Gewalt gegen Männer einsetzen und gegen Kinder oder andere Schutzbefohlene. Aber die Grundproblematik ist das System, da diese Machtstrukturen fördert und wünscht.
      Zudem merkt man an der Intensität, in der die Thematik der Transideologie vorangetrieben wird, wie sehr man versucht das grundlegende Problem der geschlechtlichen Gleichberechtigung zu umgehen. Lieber operieren wir einige Verirrte zum anderen Geschlecht, bevor man sich tatsächlich mit den Problemen der Rollenmodelle oder dergleichen befassen müsste.
      Es liegt nicht an Männern oder Frauen, die „schuld“ an den Missständen sind. Es ist die Führung, die sich einen Scheiss darum kümmert und sich wünscht, dass alles bleibt wie es ist, denn wie sollte sonst weiterhin soviel Umsatz gemacht werden?
      Also mach nicht jene nieder, die versuchen sich ein kleines bisschen Luft zu machen und die so oder so, so gut, wie kein Gehör finden. Spar Dir die Energie lieber für jene, die es wirklich verdient haben.

  2. nelly says:

    Liebe Ilka,
    Deine Beschreibung trifft es für mich auf den Punkt…

    Wer zu diesem Thema Dostojewski zitiert, hat vermutlich keine eigene Erfahrung mit chronischen Schmerzen. Dummheit (keine Ahnung zu haben) und Stolz (zwanghaft zu jedem Thema etwas zu schreiben) scheinen mir eher auf den Absender zuzutreffen, aber das ist ja ein recht bekanntes Phänomen.

    Einstein lässt grüßen mit der Unendlichkeit 😉

  3. Reinhard says:

    Hi Ilka,
    toller Beitrag! 🙂
    `Ihre Versuche diese Welt zu betreten oder besser einem selbst aus dieser Welt zu helfen, sind so unbeholfen wie die Schritte eines einjährigen Kindes.`
    bringt es absolut auf den Punkt(Siehe den ersten Kommentar)
    Außerdem öffnet er gleich 2 neue Diskussionen:
    1. Was man umgänglich als ‚Big Brother‘ bezeichnet
    2. Die vielen Schichten von Schmerz

    Gesellschaftlich, also bei Big Brother, werden Schmerzen ja als Schwäche angesehen und dann muß man noch den Unterschied machen zwischen psychischem und physischem Schmerz.
    GLG

    • Ilka Bühner says:

      Physischer und psychischer Schmerz sind wirklich eine Unterscheidung wert. Den physischen kann ich aushalten, solange der psychische sich zurückhält.
      Danke Dir und auch für Deine Worte 😊

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